Im Anschluss an seine Priesterweihe wurde Pfarrer Otto Widmer 1880 nach Gretzenbach gewählt. Bei seinen Hausbesuchen begegnete ihm eine grosse Verwahrlosung der Bevölkerung. Viele kranke Menschen darbten, ohne dass sie auf eine Unterstützung oder auf eine dringend notwendige Pflege zählen konnten.
Die erschreckend grosse Zahl von sich selbst überlassenen Kindern bedrückte ihn. Zahlreiche Familien lebten ohne jegliche Zukunftsperspektive, ohne Erwerbsarbeit, ohne wirkliche Bildung. Wohin sollte das führen? Alkohol, Misshandlung an Kindern, Trostlosigkeit waren die Folgen.
Dem grossen Vorbild Pestalozzi folgend, suchte Otto Widmer Weggefährten, die ihn beim Sammeln von Geld unterstützten. Als konkrete Abhilfe wurde 1891 der Hilfsverein St. Josef gegründet. Zweck des Vereins waren die Krankenpflege für Däniken-Gretzenbach und die Einrichtung eines Heims für verwahrloste Kinder.
Pfarrer Otto Widmer suchte das Gespräch mit der Generaloberin der barmherzigen Schwestern in Ingenbohl. Diese delegierte zwei Krankenpflegerinnen nach Däniken.
Nun musste Pfarrer Widmer ein geeignetes Gebäude finden. Er stiess auf den ledigen Urs-Josef Schenker und seinen verwitweten Bruder Josef Schenker. Die beiden Brüder bewohnten ein kleines Häuschen in der Nähe der Josefskapelle. Daneben stand das alte, mit Stroh bedeckte Bauernhaus des verstorbenen Vaters, genannt «Hummelisepp». Da die beiden alleinstehenden Brüder gerne etwas Gutes für die Öffentlichkeit tun wollten, erklärten sie sich bereit, das alte Bauernhaus mit den umliegenden Wiesen für vorerst drei Jahre ohne Mietzins zur Verfügung zu stellen. So kam es, dass neben der 1710 erbauten Josefskapelle eine Anstalt eingerichtet wurde.
Bereits am 17. Januar 1892 zogen Schwester Philomena und Schwester Baldomera ein. Sie widmeten sich hauptsächlich der Krankenpflege. Wenig später kam eine dritte Schwester aus Ingenbohl. Sie leitete den Haushalt und nahm sich dem ersten Dutzend Kinder an.
Doch das alte Bauernhaus mit seinen kleinen Zimmern war nicht geeignet, den sehr unterschiedlichen Aufgaben des Vereins gerecht zu werden. Glücklicherweise gab es nebenan ein grösseres Haus mit 82 Aren Umschwung. Dieses konnte der Hilfsverein St. Josef für 18’000 Franken kaufen. Zwei Schenkungen aus dem Dorf im Totalwert von 8’000 Franken machten die finanzielle Belastung erträglich. Das Haus wurde zweckmässig umgebaut. Aus dem ehemaligen Websaal entstand eine Schwesternwohnung.
In den folgenden Jahren entstanden in verschiedenen Gemeinden im Kanton Solothurn ähnliche Institutionen. Sie unterstanden alle dem Hilfsverein St. Josef in Däniken.
Bereits im Frühling 1892 kam als Erste eine Anstalt in Rickenbach bei Hägendorf dazu. Sie diente als Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder, namentlich aus Alkoholiker-Familien.
• 1893 folgte das Marienheim für arme Kinder in Nunningen,
• 1896 schloss sich Olten an,
• 1897 das Kinderheim St. Anna in Balsthal,
• 1903 wurde das Heim St. Moritz in Dornach eröffnet und
• 1909 ein Kinderheim in Hägendorf.
Eigene Anstaltsschule
Aus der wachsenden Zahl von Kindern in den verschiedenen Kinderheimen im Kanton formierte sich das Bedürfnis und die Notwendigkeit, eine eigene, zentrale Schule führen zu dürfen. Der Hilfsverein St. Josef reichte beim Regierungsrat des Kantons Solothurn 1894 ein entsprechendes Gesuch ein, das bewilligt wurde.
Der Regierungsrat bestimmte Däniken als Standort, denn hier grenzte unmittelbar an die Anstalt eine Hofstatt, welche Gelegenheit bot, die Zöglinge entsprechend ihrer Kraft und Fähigkeiten zu beschäftigen.
In der Scheune wurden ein Schlafsaal, ein Treppenhaus mit WC und ein Lehrerzimmer eingebaut. Ein Anbau vergrösserte das Stammhaus. Darin fanden Keller, Küche, Ess- und Erholungszimmer, ein weiteres Schulzimmer und ein zweiter Schlafsaal sowie die Lingerie Platz.
Dank einem Landabtausch von 200 m2 Land mit Leopold Schenker und dessen Stiefsöhnen Josef und Albert, dem «Hüde Bärti», konnte auf der Ostseite des Hauses ein Turn- und Spielplatz eingerichtet werden.
Die schulpflichtigen Kinder des Marienheims in Nunningen mussten nach Däniken übersiedeln. Ein Legat aus Nunnigen von 6’000 Franken und eine vom Regierungsrat erlassene reduzierte Erbschaftssteuer milderten die finanziellen Sorgen des Heimleiters.
Im Herbst 1896 übersiedelten auch die schulpflichtigen Kinder der St. Lorenz-Anstalt in Rickenbach nach Däniken.
In der neuen Schule wurden 42 Kinder eingeschult, 24 Knaben und 18 Mädchen.
Leben und Arbeiten in der Anstalt
Ende 1897 schenkte Frau Daniel Schenker aus Olten der Anstalt eine halbe Jucharte Land im Schlattliacker, die mit Weiden bepflanzt wurde. Um die Kinder angemessen zu beschäftigen, begann man 1901 mit Weiden schälen. Diese nützliche Arbeit als Vorbereitung fürs Korbflechten war sehr einträglich. Einen Teil des eingebrachten Geldes durften die Kinder selber behalten, der andere Teil verbuchte die Anstalt als Einnahme. Jedes der 80 mitarbeitenden Kinder erhielt sein eigenes Ersparniskassen-Büchlein. Die darauf verbuchten Einnahmen ergaben insgesamt rund 1’000 Franken.
Es wurden auch Johannisbeeren angebaut. Was nicht selber verwertet werden konnte, ging zur Hero nach Lenzburg für die Verarbeitung zu Konserven.
Abwechslung ins Leben der Heimkinder brachten die regelmässigen Theateraufführungen. Diese kamen bei den Dorfbewohnern gut an. Die Aufführungen mussten bis zu zwölf Mal wiederholt werden, denn der Vereinssaal in der Anstalt war viel zu klein. Zahlreiche Interessierte mussten heimkehren, ohne dass sie den begehrten Theateraufführungen beiwohnen konnten.
Die Anstalt installierte 1898 eine Wasserversorgung. Dank dieser gab es auch ein Badezimmer im Keller. 1907 wurde die Anstalt mit Gaslampen ausgerüstet.
Umzug ins Bachtelenbad Grenchen
1915 beschloss der Vorstand des Hilfsvereins den Kauf des Bachtelenbades in Grenchen. Dieser Entscheid wurde notwendig, weil die verschiedenen Heime mit insgesamt über 200 Kindern entweder zu alt, zu klein oder baufällig wurden.
Obschon das Bachtelenbad zuerst gründlich saniert und umgebaut werden musste, war das für Pfarrer Otto Widmer die beste Lösung. Mit dem Umzug nach Grenchen wurden alle Kinderheime im Kanton zusammengelegt. Im Februar 1916 zogen 80 Kinder aus der St. Josefsanstalt ins Bachtelenbad.
Otto Widmer demissionierte als Pfarrer in Gretzenbach und zog als Anstaltsdirektor nach Grenchen, um dort sein Lebenswerk weiterzuführen.
Heute ist im Bachtelenbad Grenchen der Heilpädagogische Dienst des Kantons Solothurns untergebracht.
Autorin: Marianne Frei
Nachfolgende Fotos
oberes Foto: Josefsanstalt mit Kapelle von 1895, erhalten von L. Eggenschwiler
unteres Foto: Die mit Wohnungen versehene St. Josefsanstalt um 1950